Sonja A. Buholzer


Abtauchen oder: Karriereplanung unter Wasser.

von
Dr. phil. Sonja A. Buholzer

Kolumne publiziert in der NLZ, 24. Juni 2006

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Tauchen ist mehr als Sport. Wer in die stille Welt unter Wasser eintaucht, versenkt Stress und Hektik. Was zählt ist Musse, Besinnlichkeit und Wachheit. Wer taucht, taucht ein zu sich selbst und hört nur eines: seinen eigenen Atem. Das ist wenig. Und es ist gleichsam mehr als üblich.

Immer mehr Menschen in anspruchsvollen Positionen tauchen. Sie haben vieles gesehen, das meiste ist Wiederholung, einiges langweilt und die Erwartung des zu oft bereits Erlebten macht wenig Lust darauf. Ganz anders da unten. Hier eröffnet sich eine Welt, die stets ganz neu ist. Diese Welt ist voller Abenteuer, Entdeckungspotenzial und konfrontiert. Sie konfrontiert mit uns selbst, unseren Sinnen, unserer Beherrschung. Wer sich nicht im Griff hat, gerät leicht ausser Kontrolle. Wer zu hektisch abtaucht, kriegt massive Probleme. Tauchen ist Eintauchen in die eigene Kleinheit. Wir müssen uns dabei unterwerfen, demütig werden und bescheiden, klein. Wer so taucht, integriert sich leichter in die Naturgesetze und eventuell auch in die Gesetze des Seins.

Immer wieder stosse ich auf Wirtschaftsführer und auf Politiker, die tauchen. Und immer stärker halte ich diese Möglichkeit der Regeneration und der eigenen Persönlichkeitsentwicklung für eine der ehrlichsten und hartesten, die es gibt. Kein Fehler ist erlaubt, die berühmt(-berüchtigte) 80/20-ger Regel, wonach auch 80% der Leistung genügen dürfen, gelten unter Wasser nicht. Wer nicht 100% gibt, sieht möglicherweise die Welt über dem Wasser nicht mehr. Minimalismus, Konzentrationsmängel und eine negative Einstellung können verletzen. Den eigenen Körper, die eigene Seele, den Geist und die Natur. Auch in der Wirtschaft und Politik gelten sie, die Gesetze der Natur. Nur schummelt sich gar mancher mit der „Regel für Minimalisten“ durch sein Amt. Er verletzt die Pflicht, Menschen und Gesellschaft, nur weniger sichtbar, nicht unmittelbar. Wenn Entscheidungsträger hautnah erleben, wie man beim Tauchen Strömung und Wellen für seine Ziele so nutzt, dass man nicht gegen die Natur kämpft, sondern ihre Kraft nutzt, wenn man beim Tauchen fühlt, wie gut sich die Integration in die stille Welt der tiefen Wasser anfühlt und dass beim Schweigen und ruhigen Atem gar manches Problem schneller gelöst wird als beim Reden und Hyperventilieren, dann ist diese Form von Weiterbildung hocheffizient. Er wird dabei erkennen, dass nur im Zweiersystem (Buddy) getaucht werden darf, dass eine Tauchgruppe steht und fällt mit ihrer gegenseitigen Fürsorge (take care) und Achtsamkeit, dass die Sicherheit vom glasklaren Briefing vor dem Sprung ins Wasser abhängt, dass der Schwächste in der Gruppe bestimmt, wann aufgetaucht wird, dass Wachheit und emotionale Intelligenz unter Wasser entscheiden und Gefahren gefühlt und antizpiert werden können.

Abtauchen ist vielleicht gerade zum Beginn des Sommers ein schönes Thema, sich einer andern und ehrlichen Form der Auseinandersetzung mit sich selbst zu widmen. Wer Träume hat, kann sie da unten ausbreiten und in absoluter Schwerelosigkeit von bleiernen Gedanken und lauten Zeitgenossen aktionsreif entwickeln. Wer keine Träume mehr hat, wird im Momentum des Schwebens durch eine stille Welt voller neuer Impressionen den eigenen Herzschlag, seinen Atem und damit seinen Lebensnerv spüren. Wer hart geworden ist durch allzu laute, neidische oder unliebsame Zeitgenossen da oben kann weich werden in Stunden der Schwerelosigkeit. Tauchen ist Management Development, Assessment eigener Stärken und Schwächen, ein Training in Konzentration, Fokussierung und Qualitätsdenken. Es ist eine Form von Re-Integration in die Naturgesetze, die von Allmachtfantasien im Top-Management bewahrt und die Relativität aller „Wahrheiten“ zu mehr Toleranzverhalten entwickeln kann. Auch hier ist alles eine Frage der Kenntnisse. Wer mit falschen Buddys und Ausrüstungen taucht, findet vorzeitig mehr Probleme als Erkenntnisse. Vielleicht sollte man den Tauglichkeitstest und den Fähigkeitsausweis für diese Form von Tauchen verstärkt in die Managementausbildung einbauen. Man könnte dieses Training zur Spitzenleistung auch zur persönlichen Reifung nützen. Und gegebenenfalls auch vor dem Einsatz in wichtige Aemter der Regierung und Wirtschaft kurz und nachhaltig checken, wie „buddyfähig“, verantwortungsvoll und qualitätsorientiert der oder die Betreffende arbeiten wird...! Es würde auch ein uns bestes bekanntes „anderes Abtauchen“ in Bedeutungs- und Leistungslosigkeit im Falle von Problemen reduzieren, von welchem auch diese Gegenwart – von Politik bis Wirtschaft – leider immer wieder zeugt.


Mehr dazu unter: www.sharkleadership.ch / www.vestalia.ch


*Autorenangaben:
Dr. phil. Sonja A. Buholzer ist Inhaberin der Wirtschaftsberatung Vestalia Vision. Sie ist persönliche Beraterin von Führungskräften der Wirtschaft und Politik, Wirtschaftsreferentin und Sachbuchautorin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Fragen der Führung, Kommunikation und Ethik.

Hinweis: Das im Juni 2006 von der Autorin verfasste Buch heisst:
SHARK LEADERSHIP. Management hinter den Grenzen der Angst. Orell Füssli, 2006.


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